I will review Franka Frei’s “Überfällig. Warum Verhütung auch Männersache ist” (Overdue. Why contraception is also men’s business) in German because a publisher kindly provided me with a German review copy of the book. However, you can find an English book review on the second page of this post.
Für mich als Person, die aktuell nicht schwanger werden möchte, spielt das Thema Empfängnisverhütung in meinem Alltag natürlich eine wichtige Rolle. Aber auch in medialen und feministischen Diskursen waren das Thema „Pillenmüdigkeit“ und die Kritik an der Pille in den letzten Jahren immer präsenter. Deshalb war ich umso gespannter auf Franka Freis neues Buch „Überfällig. Warum Verhütung auch Männersache ist“, in dem sie aufzeigt, welche Verhütungsoptionen es eigentlich für Menschen mit Penis gibt – und warum diese es bisher (größtenteils) nicht auf den Markt geschafft haben.
Mit ihrem Buch leistet Frei damit einen wichtigen (und längst überfälligen) Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte rund um das Thema Verhütung und macht klar, was alles möglich ist (und sein könnte) für Menschen, die genau wie viele Männer in meinem Umfeld nicht von den wenigen für sie verfügbaren Optionen (Kondom oder Vasektomie) begeistert sind. Frei geht es dabei nicht darum, dass es die eine richtige Methode zu verhüten gibt. Vielmehr plädiert sie dafür, dass jede Person die Möglichkeit haben sollte, die für sie richtige kontrazeptive Entscheidung zu treffen. Welche Möglichkeiten es in dem Bereich bereits gibt, mag die Leser*innen des Buchs vielleicht überraschen.
Neben Verhütungsmethoden für „den Mann“ geht es in „Überfällig“ aber auch um viel mehr. Das Buch ordnet die Debatte um die Pille für „den Mann“ klug in gesellschaftliche Strukturen und Machtsysteme ein, indem es aufzeigt, wie die (problematische) Geschichte der Verhütung eigentlich ablief und warum Verhütungsmethoden für Menschen mit Penis es bisher nicht auf den Markt geschafft haben. Damit verdeutlicht es die politischen Dimensionen von Verhütung im Spannungsfeld von Patriarchat, Eugenik, Klimakrise, Neo-Kolonialismus und feministischer Revolution.

Ich konnte von dem Buch sehr viel lernen und war überrascht zu erfahren welche funktionierenden Verhütungsmethoden es gibt, die bereits von Tausenden Personen mit Penis genutzt werden! Die größte Stärke des Buchs war für mich, wie Frei herausgestellt hat, dass die Geschichte der Verhütung auch untrennbar mit Eugenik sowie rassistischen und menschenfeindlichen Politiken verbunden ist. Neben dem historischen Rückblick bindet „Überfällig“ auch aktuelle Diskurse um die Erderwärmung ein. Dabei geht es nicht (nur) darum, welches Verhütungsmittel umweltfreundlich ist, sondern vielmehr darum wie (rassistische) Ängste vor Überbevölkerung auch heute noch in neokoloniale Strukturen eingebunden sind.
Die Sprache mit der Frei sich dem Thema nähert ist dabei stets humorvoll (teilweise vielleicht etwas zu salopp) und leicht zugänglich für Personen, die sich noch nicht viel in feministischen Diskursen bewegen. Ein Glossar am Ende des Buchs und anfängliche Anmerkungen zur Sprachverwendung tragen zusätzlich zur Verständlichkeit des Buchs bei. Dabei weist Frei auch darauf hin, dass es in der binär organisierten deutschen Sprache oftmals noch an Begrifflichkeiten fehlt, um das meist heteronormativ gedachte Thema Empfängnisverhütung inklusiv abzubilden.
Während sprachliche Komplexitäten also berücksichtigt werden, war der historische Überblick in „Überfällig“ für mich teilweise zu vereinfacht dargestellt. An dieser Stelle hätte ich mir Raum für mehr Komplexitäten und eine differenziertere Betrachtungsweise einiger Aspekte der Geschichte der Verhütung gewünscht. Allerdings ist mir auch bewusst, dass diese Kritik vermutlich über den Anspruch des Buchs hinausgeht und in meiner individuellen Perspektive als Leserin begründet ist. Da ich durch mein Studium der Gender Studies und andere Lektüren bereits mit dem Thema vertraut bin, trage ich natürlich ein anderes Vorwissen und eine andere Erwartungshaltung heran als die meisten anderen Leser*innen.
Aber warum sind sie so unbekannt? Via Giphy.
Ein anderer Kritikpunkt ist für mich, dass der Verlag scheinbar beim Korrektorat nicht ganz so gut aufgepasst hat, denn es gab einige Fehler bei Seitenzahlen und Begriffen, die man durch eine gründliche Kontrolle leicht hätte vermeiden können. Hoffentlich können diese in einer späteren Aufgabe von „Überfällig“ korrigiert werden. Anders als beim letzten Buch, das ich von Frei gelesen habe („Periode ist politisch. Ein Manifest gegen das Menstruationstabu“), wirkte „Überfällig“ etwas strukturierter und deshalb fiel es mir leichter zu folgen, auch wenn ich trotzdem das Gefühl hatte, dass sich das Buch an einigen Stellen wiederholt hat.
Für meinen Geschmack hätte man auch die Quellen im Text deutlicher kenntlich machen können: Als ich versucht habe ein Thema in der angegebenen Quelle nachzuschlagen, weil ich es so spannend fand, dass ich mehr dazu wissen wollte, war es mir nicht möglich herauszufinden, wo die Informationen genau herkamen. Auch wenn ein populärwissenschaftliches Buch nicht so genau zitieren muss wie akademische Texte, sollte diese Nachvollziehbarkeit dennoch gegeben sein, wenn man Quellen und Literaturangaben nennt. Letztlich gründet sich ein Großteil der Kritik, die ich an „Überfällig“ geäußert habe in meinem individuellen Blickwinkel als (akademisierte) Leserin mit viel Interesse aber auch viel Vorwissen zum Thema.
Insgesamt war das Buch dennoch sehr spannend und lehrreich. Wer etwas zum Thema Verhütung für Personen mit Penis lernen möchte, ist hier definitiv an der richtigen Stelle! „Überfällig“ bringt eine neue, interessante Perspektive in den gesellschaftlichen Diskurs ein und zeigt einmal mehr, dass das Private ziemlich politisch ist.
Vielen Dank an Goldmann für das Leseexemplar! Hier könnt ihr mehr über “Überfällig. Warum Verhütung auch Männersache ist” erfahren und hier findet ihr meine Review von Franka Freis Buch “Periode ist Politisch”.
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